
Fachtag der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Elterninitiativen e.V. und 40-jähriges Jubiläum, Frankfurt, 7. und 8. Juni 2024
Im Zuge der – in den 1960er und 70er Jahren – kritischen Auseinandersetzung der Nachkriegsgeneration mit der Verstrickung ihrer Eltern- und Großelterngeneration mit dem Dritten Reich wurden Werte une Erziehungsmethoden der Vergangenheit hinterfragt. Es entstand die zweite Frauenbewegung und der Wunsch vieler junger Mütter nach finanzieller Unabhängigkeit. Das wurde als Care-Krise erlebt: es bestand ein gravierender Mangel an öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen. Als Lösung sprossen an vielen Orten und vollkommen unabhängig voneinander Vergesellschaftsexperimente der frühkindlichen Betreuung: Die Kinderläden. Eine Generation sollte heranwachsen, die sich selbstbestimmt und widerständig gegen totalitäre Herrschaftansprüche verhalten könnte.
Als Selbshilfegruppen entstanden, professionalisierten und institutionalisierten sich diese Einrichtungen mit der Zeit. Sie wuchsen und vermehrten sich, vernetzten und organisierten sich und forderten staatliche Unterstüzung, die ihnen auch gewährt wurde, jedoch verbunden mit einer immer größer werdenden Regulierung.
Die mit den Jahren immer weitere Einbindung von Frauen/Müttern in den Erwerbsarbeitsmarkt wurde nicht nur von Feministinnen angestrebt, auch Unternehmer entdeckten diese Fachkraftressource als wichtiges Potential für Wirtschaftswachstum und Profitmaximierung.
Doch mit der fortschreitenden Institutionalisierung der freien Kinderbetreungseinrichtungen, der parallel laufenden Arbeitsverdichtung sowohl im Erwerbsarbeitssektor als auch in der privaten, unbezahlten Familienarbeit, entstand wieder eine Care-Krise: Ein wachsender Zeitdruck hindert heute immer mehr die Eltern daran, sich in ihrer „Selbsthilfegruppe“ einzubringen. Das Verhältnis Eltern-Erzieher:innen verarmt. Statt Kooperation zwischen Eltern und Erzieher:innen entwickelt sich eine Art Verhältnis zwischen „Klienten und Dienstleistenden“. Der in einer immer neoliberaleren Gesellschaft wachsende Individualismus und Selbstoptimierungsdrang sabotiert die Gruppe, die ja das Fundament von Vergesellschaftung bildet. Statt eines fürsorglichen Miteinander auf Augenhöhe entwickelt sich ein Gefühl von Isolation. Kommunikation und Verständigung werden schwieriger. Es wächst die Unsicherheit sowohl bei den Eltern als auch bei den Erzieher:innen. Beide wollen das Beste, können sich aber nicht ausreichend darüber austauschen, was das eigentlich ist.
Es wächst der Fachkräftemangel und damit die allgemeine Arbeitsverdichtung und der Zeitmangel. Die Überforderung führt zu Krankheit und Ausfall von Erzieher:innen. Das belastet wiederum die Eltern. Die Qualität der Betreuung und der Beziehungen leidet. Doch das öffentliche Jammern über alle Probleme verschärft nur die Situation, weil damit ein negatives Berufsbild und die Abwertung des Berufes propagiert wird, was wiederumg potentielle Kandidat:innen abschreckt.
Deshalb kamen die Teilnehmenden in einem Workshop zu Carearbeit, der während des spannenden, sehr gut organisierten Fachtags stattfand und zu dem Care Revolution Rhein-Main eingeladen war, zu dem Schluss: Nicht jammern! Handeln! Strukturiert handeln! Selbst, wenn es sehr schwer ist, im Carebereich zu streiken, muss der Gruppengeist des Widerstands der Selbshilfebewegung erneut geweckt werden! Eltern, Erzieher:innen und Arbeitgeber:innen müssen sich verbünden und kreativ auf die politischen (und wirtschaftlichen) Entscheidungsträger zugehen. Sie alle haben ein grundlegendes Interesse daran, dass frühkindliche Betreuung gewährleistet wird. Und Eltern und Erzieher:innen wollen hohe Qualität! Und Kinder haben ein Recht darauf!
Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden: gebührende Wertschätzung für diese gesellschaftlich so notwendige Arbeit. Sie muss eine politiche Priorität sein. Es muss dafür gesorgt werden, z.B. mit Erwerbsarbeitszeitverkürzung (bei Erzieher:innen UND Eltern) und mit Personalaufstockung für ausreichend Zeit und Entlastung vor zu großer Arbeitsverdichtung. Es muss eine verläßlich planbare finanzielle Absicherung der Einrichtungen von Kinderbetreuung gewährleistet werden. Die Arbeitsbedingungen der Erzieher:innen müssen ansprechend sein, so dass dieser Beruf zu einem begehrten, erfüllenden Beruf wird, gut bezahlt. Aber auch Eltern und Kinder müssen ausreichend materiell abgesichert sein, sodass die Sorge um die Existenzsicherung (die Erwerbsarbeit) weniger Raum in ihrem Leben einnimmt und sie sich wieder viel mehr in die Mitgestaltung der gemeinschaftlichen Kinderbetreuung einbringen (können). Das Bedingungslose Grundeinkommen wird als mögliche Lösung erwogen.
Und es wird vorgeschlagen, aktiv Druck auf die politischen Entscheidungsträger zu machen. So zum Beispiel am 29. Oktober, dem von der UNO im vergangenen Jahr proklamierten Internationalen Tag der Carearbeit, einen Aktionstag zu organisieren, zu dem Eltern, Erzieher:innen, Kinder und Arbeitgeber mobilisiert werden, um gemeinsam kreativ in der Öffentlichkeit von den politischen Entscheidungsträgern entsprechende Massnahmen einzufordern.
