Inklusion, nicht als Einschluss in das Bestehende, sondern als Zusammenschluss unserer Vielfalt: Das Lichtermeer 2018

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Foto; Simo Slaoui

Zum zweiten Mal fand am 26.10. in Frankfurt das Lichtermeer für Inklusion statt. Dieses Jahr mit einem Gebärdenchor von SchülerInnen der IGS-Nordend unter der Leitung von Frau Villalba-Weinberg.

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Foto: Simo Slaoui

Und wieder war das Trommel-Ensemble Alles Blech mit von der Partie! Sie sind einfach wunderbar! Man muss sie erlebt haben!

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Foto: Simo Slaoui

Die Frankfurter Bildungsdezernentin Sylvia Weber nahm von Alexandra Cremer, Vorsitzende des Netzwerks Inklusion, die Inklusionsfackel in Empfang, die nach einer anderthalbjährigen Reise um die Welt nun wieder an ihren Startpunkt Frankfurt zurückgekehrt ist.

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Foto: Simo Slaoui

Bevor sich der Lichterlauf in Bewegung setzte, hielt Mathias Mendyka, Pflegender Vater und Aktiver in unserem Regionalnetzwerk Care Revolution eine bewegende Ansprache, die wir hier mit seiner freundlichen Genehmigung abdrucken.

 

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Foto: Simo Slaoui
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Foto: Simo Slaoui
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Foto: Simo Slaoui
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Foto: Simo Slaoui

Liebe Inklusionsfreunde!

leider kann ich heute nicht mit meiner Tochter Clara am Lichtermeer teilnehmen. Sie ist gesundheitlich etwas wackelig, aber nichts Ernsthaftes, kein Grund zur Sorge. Es hätte mir dennoch viel bedeutet.

Clara ist nun anderthalb Jahre alt. Sie ist lebensverkürzend erkrankt und seit ihrer Geburt stark pflegebedürftig. Und sie hat mein Leben und das Leben meiner Familie gründlich umgekrempelt.

Die ersten sechs Monate von Claras Leben verbrachten wir mit ihr in der Kinderklinik. Dort wurden wir – sozusagen vorab – bereits in der Nachsorge darauf vorbereitet, in welcher Form uns Diskriminierung von Kindern mit Behinderung und ihrer Familien begegnen kann. Dass diese Beratung nötig scheint, ist beschämend!

Die Zeit, die wir bislang mit Clara verbringen durften hat meine Sicht auf das Leben sehr verändert:

die kleinen Besonderheiten und Entwicklungsschritte an einem Menschen machen den Unterschied aus. Clara zeigt uns ungeschminkt, was ihr passt und was nicht; eine Eigenschaft, die wir uns vielleicht sogar zum Vorbild nehmen können. Die Ansprüche hingegen, die in unserer Gesellschaft zu oft als selbstverständlich voraus gesetzt werden: fit und wettbewerbsfähig sein, Erwartungen entsprechen – die behindern uns eher. Durch Clara haben meine Frau und ich auch Dankbarkeit und Demut neu gelernt.

Jedoch möchte ich nicht „dankbar dafür sein müssen, dass jemand mein Kind betreut“, wie die Journalistin Mareice Kaiser als Pflegende Angehörige einmal schrieb. Ob ich in der Zeit nun arbeiten, durchatmen, demonstrieren oder ein Hobby pflegen möchte, würde ich ergänzen.

Mittlerweile haben wir rund um Clara und uns ein Unterstützungsnetzwerk aus vielfältigen häuslichen Angeboten aufgebaut: Pflegedienst, Kinderpalliativteam, Physiotherapie usw. Aber auch dies zu koordinieren, Anträge, Widersprüche, Rezepte, mobilen Sauerstoff und Sondennahrung immer dorthin zu organisieren, wo sie benötigt werden – das macht niemand nebenbei, und das trägt seinen Teil dazu bei, dass man als Pflegende Angehörige immer auch berufliche und finanzielle Nachteile erdulden muss.

Was mir in der Debatte zum Pflegenotstand zu kurz kommt ist die Tatsache, dass der weitaus größere Teil an Pflege und ihrer Organisierung privat erbracht wird. Unsichtbar, durch wenige, überlastete Personen, deutlich häufiger nach wie vor durch Frauen. Gäbe es eine Stelle, an die pflegende Angehörige eine Überlastungsanzeige schreiben könnten, ich hätte darüber nachgedacht.

Was müsste besser laufen?

  • stärkere Anerkennung der Leistungen Pflegender Angehöriger. Gerade auch in Punkto soziale Absicherung.

  • bessere Beratung Betroffener. Das Wissen um sozialrechtliche Hilfsangebote darf nicht von Glück oder Zufall, nicht von der Muttersprache oder dem Bildungsgrad der Betroffenen abhängen.

  • und die Beendigung des Pflegenotstandes durch deutlich bessere Wertschätzung der Arbeit von Pflegekräften.

Zum Schluß noch zwei besorgte Ideen zur Inklusion:

Inklusion, ist das eine Einladung in die „Mitmachgesellschaft für alle“? Die meisten haben die Diagramme vor Augen, die mit Punkten außerhalb des Kreises anzeigen, wer nun auch im „Drinnen“ mitmachen soll. Was ist das für ein „Drinnen“? Das Mitmachen im Drinnen funktioniert schon jetzt für viele nicht. Ich habe den Eindruck, dass die Gesellschaft, die auf Leistung und Konkurrenz gründet gerade in ihrem Innersten Ausgrenzung produziert. Ich denke an nicht bezahlbaren Wohnraum, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, Armut trotz Arbeit usf.

Und auf der anderen Seite entkoppeln sich die Wenigen freiwillig, die nicht auf gesetzliche Sicherungssysteme angewiesen sind, die über hohe außertarifliche Einkommen und Beziehungen zu ihresgleichen verfügen. Hier findet freiwillige Exklusion und Entsolidarisierung statt.

Deshalb: Inklusion, nicht als Einschluss in das Bestehende, sondern als Zusammenschluss unserer Vielfalt: dafür möchte ich mit euch zusammen Laufen, mit Rollstühlen, Kinderwägen und Rehabuggys rollen und dabei ein Licht aussenden…

Und zuletzt: am Sonntag könnten Gestalten in den Landtag einziehen, die ich nicht immer mit Sicherheit von denen unterscheiden kann, die schon einmal bestimmen wollten, welches Leben „lebenswert“ ist und wie der Volkskörper „gesund“ zu halten sei. Ich wünsche mir deshalb, dass unser Lichtermeer nicht nur Offenheit und Vielfalt feiert, sondern auch ein starkes Zeichen gegen Ausgrenzung und Faschismus wird.

Lasst uns laufen und rollen…

… für echte Inklusion, die alle zu einem guten Leben befähigt

… für die Sichtbarkeit häuslicher Sorgearbeit

… für gute Bedingungen in der Pflege, privat und professionell

… und für die Care Revolution

Dankeschön!

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Foto: Simo Slaoui

 

Und zum Abschluss des Lichterlaufs erklang der Inklusionssong.

Wir freuen uns schon auf das Lichtermeer 2019!

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Foto: Simo Slaoui

 

 

 

 

 


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