Frankfurt hat gestern als erste Stadt der Bundesrepublik, wenn nicht vielleicht von Europa oder gar weltweit den Equal Care Day offiziell mit einer Abendveranstaltung begangen. Almut Schnerring und Sascha Verlan setzten 2016 – einem Schaltjahr – die Idee in die Welt, dass der 29. Februar zum Equal Care Day deklariert werden sollte, weil Männer statistisch vier Jahre brauchen, um die Menge an (meist unbezahlter) Sorgearbeit zu leisten, die Frauen in einem Jahr bewältigen. Um vielleicht dennoch etwas schneller eine Bewußtseinsveränderung anzustossen, wurde beschlossen, den Tag jedes Jahr zu begehen, aber an nicht-Schaltjahren eben ersatzweise am 28. Februar bzw. am 1. März.
Swoosh Lieu , eine feministische Theatergruppe, hatte im September 2016 in Frankfurt ihre Performance Who Cares? – Eine vielstimmige Personalversammlung der Sorgetragenden uraufgeführt. Für die Produktion dieses Werkes hatte sie die Unterstützung der Stadt Frankfurt (Kulturamt und Frauenreferat) gesucht und gefunden, und damit auch schon wichtige Entscheidungstragende für das Thema Carearbeit nicht nur sensibilisiert, sondern sogar gewonnen. Und so beschloss die Frankfurter Dezernentin für Umwelt und Frauen, Rosemarie Heilig, diesen Tag zu begehen und damit das Thema Care auf die politische Tagesordnung zu setzen.
Zur großen Freude unseres Regionalnetzwerks Care Revolution Rhein-Main wurden wir in die Gestaltung des Programms einbezogen. Wir führten mit einem kurzen Sketch ein in die Thematik, die dann von Prof. Dr. Uta Maier Graewe akademisch dargelegt wurde. Carearbeit wird großteils von Frauen ausgeübt und genießt sehr geringe Anerkennung. Wenn sie erwerbsförmig organisiert ist, dann wird sie schlecht bezahlt, weil als “unproduktiv” betrachtet. Denn in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem wird “Produktivität” gleichgesetzt mit “Rentabilität”, d.h. mit der Fähigkeit, für einen Einsatz von Ressourcen “Geld” zu generieren.
So ist also die “Produktion” von Menschen (mit ihnen schwanger zu gehen, sie zu gebären, großzuziehen und sich dabei mehr als eine Nacht um die Ohren zu schlagen, zu ihren Gunsten auf einen bedeutenden Teil des eigenen Einkommens zu verzichten und somit auf all die Annehmlichkeiten, die dieses Einkommen hätte einbringen können, vielleicht auch auf Karrierechancen und Rentenanwartschaften), die dann der “Wirtschaft” als Arbeitskraft und – noch viel wichtiger – als Konsumenten zur Verfügung stehen, also als „Nachfrage” auf dem “Markt”, so gut wie nichts Wert? Jedenfalls nicht wertschöpfend – im Gegensatz von der Produktion von Waren und Dienstleistungen? Wahrscheinlich, weil die “produzierten” Menschen eben nicht online oder analog verkauft werden können, also zu Geld gemacht, sondern erst indirekt, nämlich als Arbeitskraft oder Kosumenten Geld also Profit generieren. Ganz zu schweigen von Menschen, die “nur” noch als Konsumenten für den Markt interessant sind, weil sie zu alt oder krank oder behindert sind, um als Arbeitskraft ver-wertet zu werden.
Dem Vortrag folgte eine angeregte Diskussion mit den Teilnehmenden, die darum kreiste, dass die ungleiche Verteilung der Carearbeit Frauen in ihren Möglichkeiten am Erwerbsmarkt teilzunehmen sehr benachteiligt. Und dass diese Teilnahme am Erwerbsarbeitsmarkt die Voraussetzung für eine finanzielle Unabhängigkeit und eine Absischerung im Alter bedeute. Warum denn nicht aus diesem Denkkorsett ausbrechen und Arbeit und Existenzsicherung als zwei unabhängige Größen betrachten? Wir hatten doch gesehen, dass ein sehr großer Anteil notwendiger Arbeit unbezahlt erledigt wird, also keinesfalls “des Geldes wegen”. Gleichzeitig gibt es Menschen, die über immer mehr Geld verfügen, obwohl sie nicht arbeiten. „Ihr Geld tut das für sie“. Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens könnte doch da vieles verändern. Menschen wären existenziell abgesichert und würden arbeiten, weil sie eine Arbeit als notwendig oder wünschenswert betrachten, nicht um damit ihr Brot zu verdienen. Viele junge Männer würden sich gerne in der Familie einrbingen, wenn es ihnen (finanziell) möglich wäre.
Einige Teilnehmende äußerten ihren Überdruß darüber, dass das Thema der ungleichen Verteilung der unbezahlten Arbeit seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung der Feministinnen stünde, aber immer noch keinen Deut vorangekommen sei. Wie kann endlich die notwendige kulturelle Veränderung stattfinden? Sind die Mütter daran schuld, weil sie ihre Söhne nicht richtig erziehen? Ganz bestimmt nicht, da Erziehung nicht nur eine Angelegenheit der Mütter ist, sondern der ganzen Gesellschaft, mit ihren Stereotypen und Normen. Alle, und besonders die Kulturschaffenden, die Medien, die Werbung müssen an der Veränderung der Geschlechtervorstellungen arbeiten. Und es haben ja schon Veränderungen stattgefunden. Viele Frauen verweigern z.B. bewußt eine Mutterschaft und damit ein bestimmtes Rollenklischee.
Wie könnte ein Kampf für Veränderung im Carebereich aussehen? Wenn z.B. ein Streik im Krankenhaus oder in der Familie nicht eine Konfliktsituation zwischen den zwei Polen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin ist, sondern drei Personen in ein Spannungsfeld setzt: die Sorgetragende (eine Krankeschwester), die versorgte Person (der Patient) und den Arbeitgeber (den Träger des Krankenhauses). Wie soll eine Mutter ihr Kleinkind einige Stunden unbeaufsichtigt sich selbst überlassen, um damit Druck auszuüben, damit z.B. mehr Kitas gebaut werden oder sich die Qualität der Kitas verbessert?
Es wurde darauf hingewiesen, dass sich im Zusammenhang mit der wachsenden internationalen Frauenbewegung in Deutschland ein Feministisches Netzwerk
gebildet hat, das auch in Deutschland zu einem globalen Frauenstreik am 8. März aufruft. So wird z.B. in Frankreich aufgerufen, weil Frauen zu 21% weniger bezahlt werden als Männer, dass sie am 8. März um 15h30 die Arbeit niederlegen sollen, um auf die Strasse zu gehen und für ihre Rechte zu demonstrieren.
Ja, auch hier in Frankfurt werden wir uns beteiligen. Am 8. März werden wir um 16h an der Davidstatue an der Hauptwache für Care-Sharing demonstrieren. Wir laden alle Frauen ein, und die Männer, die ebenfalls für das Gute Leben für Alle sind: ZUSAMMEN FAIR-CAREN WIR DIE VERHÄLTNISSE!
P.S. Die Frankfurter Rundschau vom 1.3. berichtet über die Veranstaltung
Ein Gedanke zu “Sie nennen es Liebe, wir nennen es unbezahlte Arbeit”